Die tanzende Fassade von Münsingen.
01.09.22Details funktionieren, wenn Engineering, Planung, Produktion und Montage zusammenspielen.
Wenn Funktion und Ästhetik zu überraschenden Lösungen führen.
Was standfest und stabil, aber trotzdem leicht und beweglich wirkt, basiert auf cleverem Engineering und ausgeklügelter Statik.
Der neue Hauptsitz der Firma Aeberhard AG ist alles andere als gewöhnlich. Die Strenge der Baukörper steht im Kontrast zu der Dynamik, die durch die verschiedenen Schrägen entsteht. Der stabile Cortenstahl steht in Opposition zu der bewegten Optik der Nord- und Südfassade. Die Korrosion des Stahls steht als Sinnbild für das Vergängliche der zeitgemässen, «modernen» Architektur gegenüber. Die Leichtigkeit der «tanzenden Fassade» löst die monolithische Fernwirkung auf. Was standfest und stabil, aber trotzdem leicht und beweglich wirkt, basiert auf cleverem Engineering und ausgeklügelter Statik. Ohne die vielen, sorgfältig gelösten Details bliebe die Optik des Ganzen unerreicht.
Die Architektur ist Bestandteil der Markenstrategie der Bauherrschaft und somit ist die Ästhetik Programm und Funktion in einem: das Gebäude soll Aufmerksamkeit generieren. Die Gestaltung der Fassade gewährt einen ausgezeichneten Wetter- und Sonnenschutz. Je nach Blickwinkel sorgen die Lamellen für Sichtschutz oder Durchblick. Wird innerhalb der Lamellen Luft gestaut, wirkt diese wärmedämmend.
Die optische Stärke der waagrechten, tragenden Elemente sowie der Lamellen sind der Gestaltung geschuldet und sind vom Architekten definiert. Unser Vorschlag, die Lamellen als «Z», und nicht wie gefordert als Kassetten auszubilden, hat aus mehreren Gründen überzeugt. Buchstäblich ins Gewicht gefallen ist, dass durch die Unternehmervariante bei den Lamellen annähernd ein Viertel an Rohmaterial und sicher ein Drittel der Arbeitsleistung für die Herstellung eingespart werden konnte. Wenn anstelle von ca. 75 Tonnen Stahl nur deren 55 benötigt werden, reduziert dies nebst den Material- aber auch die Logistikkosten.
Was die Schrittfolge für einen Tango, ist das Engineering für die «tanzende Fassade» der Firma Aeberhard. Nur wenn die einzelnen Elemente stimmen, wird daraus ein Gesamtbild, das passt.
Die Gebäudehülle ist eine Holzkonstruktion aus vorgefertigten Elementen. Die horizontalen Profile tragen die ganze Fassade und sind im Holzbau befestigt. Die Ausfachungen müssen in Konstruktion und Dimension für die zu tragenden Lasten ausgelegt sein. Die Kreativität und der virtuose Umgang unserer Planer mit den Möglicheiten der 3D-Planung zeigt sich in unerwarteten und letztlich hochpräzisen Lösungen, welche der gewünschten Optik entsprechen und die statischen Vorgaben erfüllen.
Ein Beispiel sind die bereits erwähnten Lamellen in Form eines Z-Profils. Dessen Konstruktion ist formstabil, spart Material und reduziert das Gewicht. Eine optisch nicht wahrnehmbare Reduktion der Bautiefe um 20 mm ergibt eine optimale Plattenausnutzung und spart gegenüber der Vorgabe noch einmal erheblich Kosten und Gewicht.
Bei der Planung der vielen Verbindungen mit den unterschiedlichen Winkeln und Schrägen hat die CAD-unterstützte 3DKonstruktion mit den Simulationsmöglichkeiten wertvolle Dienste geleistet.
Die Digitalisierung umfasst von der Planung über die Produktion bis zur Logistik alle Prozesse. Die wichtigsten Vorteile sind die Qualität durch Präzision und die Effizienz durch durchgängige Organisation.
Was wäre, wenn die Tanzpartner nicht harmonieren? Das Zusammenspiel der Partner macht den Erfolg. Genau so ist es bei der Fassade in Münsingen. Nur wenn die vielen Verbindungen, Anschlüsse und Übergänge genau passen, ergibt sich ein Bild, das bis ins Detail überzeugt.
Die Stirnseiten des Gebäudes sind mit vorgefertigten Stahlkofferelementen verkleidet. Auch hier müssen die Abschlüsse und Übergänge zu der horizontalen Tragekonstruktion sehr genau passen. Letztlich zeigt sich bei der Montage, wie sauber die Konstrukteure und Metallbauer gearbeitet haben. Kleinste Unsauberkeiten sind sofort sichtbar – höchste Sorgfalt ist gefordert. Dasselbe gilt bei den Anschlüssen der Lamellen zu diesen Horizontalen.
Die Haltung und die im Zentrum getragene Bewegung runden das Bild des Tanzpaares ab. Der Eingang und die dazu passend gestalteten, grossen Fensterflächen geben dem Gebäude optisch Stabilität. Die Betonung der Waagrechten und Senkrechten durch die Umrandung steht im Kontrast zu den schrägen Elementen. Auch hier sind die flächenbündigen Anschlüsse zwischen Fassade und Korpus mit einer sauberen Konstruktion und Fertigung Pflicht. Die Optik und Qualität der Fassade wird auch im Innenbereich des Lagers weitergeführt. So sind dessen schrägstehende Wände ebenfalls mit Cortenstahl beplankt.
Die konsequente Gestaltung des Gebäudes zeigt sich auch an scheinbar unwichtigen Details wie dem Fahrradunterstand. Die Statik des freitragenden Dachs als Bestandteil der Fassade ist eine Meisterleistung unserer beiden Projektplaner.